Leibniz-Gymnasium Essen

Eine unvergessliche Begegnung, ein immerwährender Auftrag

Begeisterung, Ehrfurcht und vielleicht auch ein bisschen Aufregung – all diese Emotionen schwingen bei den Schülerinnen und Schülern des Projektkurses Geschichte der Q1 mit, als sie am Freitag, den 23. Januar 2015 – für sie ein ganz besonderer Tag – vor der Schule mit den mit viel Mühe angefertigten Begrüßungsplakaten auf ihn warten: auf Salomon „Sally“ Perel (89), einen jüdischen Zeugen der Zeit des Nationalsozialismus. Einen ganz besonderen Zeugen. Denn der warmherzige und humorvolle Mann hat etwas Einmaliges erlebt. Getarnt als Hitlerjunge „Jupp Perjell“ erfuhr der Verfasser des Buches „Ich war Hitlerjunge Salomon“ den Holocaust aus einer ganz anderen Sichtweise: Begleitet von der permanenten Angst, entdeckt zu werden, überlebte er das „schlimmste Kapitel der deutschen Geschichte“ inmitten der Täter und Mitläufer.

Um 8:15 Uhr ist es dann endlich so weit: Sally Perel erweist zum zweiten Mal unserer Schule die Ehre seines Besuches. Der herzliche Empfang der Schüler rührt ihn sichtlich. Sie begleiten ihn in das Sekretariat, wo er vom Schulleiter, Herrn Tenhaven willkommengeheißen wird. Als er schließlich in der Aula zu seinem lang erwarteten Vortrag eintrifft, erhebt sich das gesamte Publikum – eine Geste höchster Anerkennung. 

„Von jetzt an seid Ihr Zeitzeugen. Was Ihr gehört habt, müsst Ihr an die nachfolgenden Generationen weitergeben“, spricht er in unsere vollbesetzte Aula hinein. Man könnte eine Stecknadel fallen hören, als er das sagt.

Einige Schülerinnen und Schüler der Stufen 9 bis Q2 – auch solche des Projektkurses des vergangenen Schuljahres – erinnern sich noch eindrücklich an das erste Treffen mit ihm, für andere wiederum ist es der erste Zeitzeuge, dem sie begegnen. Sally Perel selbst zitiert zustimmend Stephen Spielberg, den Regisseur des Holocaust-Dramas „Schindlers Liste“, der sagte: „Zeitzeugen sind die besten Geschichtslehrer“. Die Wahrheit über das schlimmste Kapitel deutscher Geschichte zu verbreiten – darin sieht Perel seine Berufung. „Solange mich meine Füße tragen, werde ich die Jugend mit meinem Wissen gegen das Gift der Leugner und Neonazis, gegen das Gift des Hasses impfen“. Die demokratisch gesinnte Jugend jeglicher Nationalität oder Religion sei schließlich in der Pflicht, gegen Menschenhass in all seinen Erscheinungsformen zu kämpfen.

Empfangen wurde Herr Perel nicht nur von Herrn Tenhaven, der in seinen einleitenden Worten besonders auf die „ehrfürchtige Stimmung“ eingeht, sondern auch von drei Schülerinnen des Projektkurses. Unter den Hörern befindet sich auch der Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Thomas Kutschaty.

Angefangen hat Perels Lebensweg im niedersächsischen Peine. Hier verlebte er auch während der krisenhaften letzten Jahre der Weimarer Republik (1918–1933) eine glückliche Kindheit. „Jedes Kind entwickelt seine eigenen Schutzmechanismen gegenüber der Welt der Erwachsenen“, erklärt er. Doch 1935, nach dem Erlass der Nürnberger Gesetze, mit denen die 1933 an die Macht gekommenen Faschisten ihrer Judenverfolgung ein „legales“ Mäntelchen umzulegen versuchten, wurde er als Drittklässler wegen seines Glaubens der Schule verwiesen – für ihn ein schockierendes Erlebnis.

Die Eltern beschlossen daraufhin, mit Sally und seinen Geschwistern ins polnische Lodz auszuwandern. Kaum hatten sie sich integriert, kam der Überfall der Naziwehrmacht auf Polen, kam der Zweite Weltkrieg. Als die Besatzer nach vier Monaten die Juden von Lodz in ein Ghetto pferchten, stand für die Eheleute Perel fest: Dort kommt man zwar lebendig hinein, aber nicht heraus. Schweren Herzens schickten sie ihre Kinder fort. „Diese Abschiedsszenen“, so Perel schwermütig, „kann man nicht vergessen.“

„Du sollst leben!“ – das waren die letzten Worte seiner Mutter an ihn. Im sowjetisch besetzten Ostpolen, fünfzehn Kilometer von der deutschen Grenze entfernt, fand er eine neue Heimat. Doch auch dort sollte er nicht sicher sein. Am 22. Juni 1941 marschierte die bislang erfolgsverwöhnte Wehrmacht ohne Kriegserklärung in die Sowjetunion ein. Perel floh ins Landesinnere, Richtung Weißrussland, doch die Nazis waren schneller als er gewesen. In den Wäldern vor Minsk warteten die Erschießungskommandos der SS auf die örtlichen Juden, auch auf ihn.

„Ich hatte nur einen Gedanken: Mama, Papa, ich will nicht sterben. Rasch machte ich ein Loch in den Waldboden und vergrub darin all meine Ausweise. Als ich schließlich vor dem Wachposten stand und gefragt wurde: ’Bist du Jude?‘, musste ich blitzschnell entscheiden: halte ich es mit dem Vater – er hatte mir beim Abschied mit auf den Weg gegeben, ich dürfe niemals vergessen, wer ich sei – oder mit der Mutter?“ Bewegt fährtSally Perel fort: „Jedenfalls entschied ich mich für das Leben und antwortete: ’Ich bin kein Jude, sondern Volksdeutscher‘. Und er glaubte mir! Ehe die Wahrheit mich getötet hätte, log ich.“

Als „Volksdeutscher Josef Perjell“ wird er Dolmetscher bei der 12. Panzerdivision der Wehrmacht. „Jupp“, wie ihn seine Kameraden nennen, ist das „Lieblingskind der Kompanie“. Während er eines Tages gemeinsam mit einem Kameraden badet, entdeckt dieser, dass „Jupp“ nach jüdischem Ritus beschnitten worden war. „Das hätte das Ende für mich sein können. Plötzlich erlebte ich einen Moment der Menschlichkeit: ’Ich werde nichts sagen. Es gibt auch ein anderes Deutschland‘, sagte mir der Offizier. Diese Worte gaben mir Mut.“

Nach einem Jahr des Fronteinsatzes an die Hitlerjugendschule in Braunschweig abkommandiert, bildete sich infolge der Indoktrinierung mit der Naziideologie eine zweite Seele in Perels Brust heraus. Er bekennt vor dem Publikum freimütig: „Auch ich gehörte zu denen, die aus Überzeugung schrien: ’Sieg Heil‘, wobei doch der ’Sieg‘ darin bestehen sollte, meine eigenen Glaubensbrüder auszulöschen!“ Die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945, dem Tag der Befreiung Europas vom Faschismus, empfand er, der er zuletzt im „Volkssturm“ gedient hatte, noch als Niederlage.

„In nur 40 Kilometer Entfernung von meiner früheren HJ-Schule befand sich das Konzentrationslager Bergen-Belsen. Erst als ich es nach Kriegsende besuchte, kam ich vom Hitlerjungen ’Jupp‘ langsam los. Es ist ein schmerzhafter Prozess, der bis heute andauert. Noch heute ist er ein Teil meiner selbst. 

Nach dem Krieg ließ Salomon Perel sich in Israel nieder und gründete eine Familie. Aber nicht einmal seinen Kindern erzählte er von seiner Vergangenheit in Nazideutschland. Erst nach vierzig Jahren und einer Operation am Herzen entschloss er sich, seine Geschichte schriftlich festzuhalten. „Ich war Hitlerjunge Salomon“ liegt auf Deutsch bereits in über 20 Auflagen vor.

Der Andrang junger Menschen bei seinen Lesungen ist für ihn ein Zeichen der Weigerung, „geschichtsfrei zu leben“. „Die deutsche Geschichte besteht nicht nur aus großen Denkern und Schriftstellern. Auch Auschwitz ist ein Teil von ihr, ein Ort, an dem sogar Kinder vergast wurden. Nur wer in der Vergangenheit festen Fuß fasst, kann sich in der Gegenwart orientieren und in die Zukunft schreiten.“

„Schalom“ („Friede“), ein einfaches, und doch so bedeutungsschweres Wort – damit findet Sally Perel, der mit seiner trotz des tiefen Ernstes des Vortragsthemas auch locker-beschwingten Art die Herzen aller im Saal gewonnen hat, einen mahnenden und zugleich versöhnlichen Abschluss.

In der anschließenden Fragerunde nutzen viele Schülerinnen und Schüler die vielleicht einmalige Chance, mit einem Zeitzeugen persönlich sprechen zu können. „Gab es Widerstand?“ „Was ist mit ihrem Bruder und Ihrer Schwester passiert?“ „Haben Sie heute noch Kontakt zu Bekannten von damals?“ All diesen Fragen widmet sich Sally Perel eingehend und emotional.

Dann geschieht es: Als eine Schülerin sich im Namen des Leibniz-Gymnasiums bei dem beeindruckenden Lehrmeister bedanken will, gibt ihr dieser eine herzliche Umarmung. Sie kann die Tränen nicht mehr halten. Doch damit nicht genug: In der Stunde des Abschieds bleibt erneut manches Auge nicht trocken. Doch bei diesem Besuch muss es nicht bleiben. Denn wie heißt es bekanntlich? „Aller guten Dinge sind drei!“

Die Schulgemeinde bedankt sich bei dem Projektkurs Geschichte Q1 für die Organisation des Besuchs von Sally Perel im Leibniz-Gymnasium und bei der Allbau AG, unserem Kooperationspartner, der mit einer großzügigen Spende die Lesung finanziell ermöglichte.

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